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Impuls:Die Zeit heilt nicht, schon mal gar nicht alle Wunden…

Dass mit der Zeit alles, was uns verwundet hat, vergeht, dass möglichst keine Narben zurückbleiben und am besten irgendwann gar nicht mehr erkennbar ist, dass man überhaupt verwundet wurde… – ein Wunschtraum, der der Realität nicht im geringsten Stand hält.
Blume
Datum:
12. Juli 2023

Mit Blick auf die inzwischen zwei vergangenen Jahre seit der Flutkatastrophe stellt sich die Frage, ob das wirklich wünschenswert wäre: keine Wunden und keine Narben. 
Als am 14. Juli 2021 in einer Nacht furchtbare Zerstörung durch Wasser um sich griff, war in kürzester Zeit klar, dass dies das Leben unendlich vieler Menschen grundlegend verändern würde: Viele starben, viele verloren geliebte Menschen, viele ihr Zuhause, ihre Heimat, ihr Gefühl von Sicherheit, ... Das Wasser riss alles mit. 
Verändert hat diese Flut uns alle, Betroffene wie Helfende und Zu- oder Wegschauende. Die Wunden sind so tief und so vielfältig wie die Menschen selbst. Das gilt auch für Heilungen oder einzelne Heilungsschritte.

Heute zu sagen: „Alles ist wieder gut!“ wäre gelogen. Genauso wie die Aussagen: „Nichts hat sich verändert“ oder „Alles bleibt kaputt und verloren.“
Es hat sich viel getan nach den Zerstörungen: Brücken wurden neu geschlagen, helfende Hände ausgestreckt und ergriffen, Häuser, Straßen und Dörfer wieder aufgebaut, neue Freundschaften geknüpft, neue Netzwerke geschaffen, Veränderungen zum Schutz aller angedacht und bereits umgesetzt, ... 
Durch die Zeit hindurch haben sich die Perspektiven verändert; Leben haben sich neu sortiert; Trauer und Traumata haben hoffentlich Halt und Hilfe gefunden. Manche Ansicht hat sich verändert – selten zum schlechteren.

Sicher ist, Menschen wurden einander zu Mitmenschen. Solidarität und gemeinsames Tun haben Schritte in neues Leben gefördert. Mit der Zeit geht das Leben weiter, trotz alle Verluste und Zerstörung. Mühsam wurde aufgestanden, los- wie weiter gegangen: Die Zeit hat durch ihr Voranschreiten das Aufrichten, Weitermachen und Neubeginnen ermöglicht. Nicht ohne Wunden, nicht ohne Narben, aber vor allem miteinander, einander helfend und stützend.

Noch lange ist nicht alles gut – aber um die Erfahrung der Mitmenschlichkeit sind wir alle reicher.
Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Sie kann uns nur lehren, weiterzugehen mit unseren Wunden und Narben.

Und manchmal ermöglicht die Zeit, irgendwann wieder aufzuschauen und aus dem Gebetsschrei „Warum?“ vielleicht ein leises „(Gott sei) Dank für die Hilfe!“ werden zu lassen. Für manche schon gestern, für andere heute oder morgen. Und für dich?

Katharina Veltmann