Im „Kompass“ heißt es: „Die Elemente Freiheit, Begegnung und Ermöglichung können uns auf dem Weg leiten.“ Was bedeutet das für Sie konkret?
Wir haben festgestellt, dass wir angesichts der Daten, die uns vorliegen, kein Bild einer Zukunft des Jahres 2035 machen können. Wie die Menschen, die dann in unserem Alter sein werden oder gerade geboren sind oder in ihren Beruf starten oder junge Eltern sind, sich zum Glauben verhalten werden, wissen wir nicht. Wir können nur für uns überlegen, in welche Richtung wir unser Tun heute orientieren. Nach welcher Logik richten wir unser seelsorgerisch-pastorales Handeln – in Reaktion auf die Zeichen der Zeit – aus? Es geht also nicht um ein fertiges Bild, was einmal sein wird. Sondern um die Hoffnung und die Ahnung, dass – wenn wir es heute so beginnen – es gelingen könnte, dass sich kirchliches Leben im frühen 21. Jahrhundert verändert. Und dass wir die eigentliche Inhaltlichkeit, die wir dieser Welt schulden, nämlich die Verkündigung des Evangeliums, erfüllen können.
Was hat es mit der Freiheit auf sich?
Das erste Stichwort ist die Freiheit. Ich glaube niemand ist hier im Raum, der sagt, das sei kein Wert. Niemand ist hier im Raum, der leugnen wird, dass dies eine zivilisatorische Errungenschaft ist, zu der wir stehen und die wir hochhalten, nicht missen wollen, in der wir uns glücklich fühlen und leben wollen. Wir wissen aber zugleich, dass diese politische Freiheit bedroht ist. Von außen steht sie unter Druck durch ganz andere Pläne - China, Afghanistan oder Russland haben andere Ideen dazu, wie eine Gesellschaft aufgestellt sein sollte. Und sie steht auch durch Fundamentalisten, Radikalismen und immer neue Anfragen, was mit dieser Freiheit denn zu tun und durchzusetzen sei, unter Druck. Für uns als Kirche kann es keinen Zweifel daran geben, dass wir einen freiheitlichen Rechtsstaat bejahen, fördern und schützen. Hinzu kommt, dass heute jeder einzelne Mensch einen eigenen Lebensentwurf ergreifen, gestalten und leben kann. Auch dies gilt es zu schützen. Das ist eine Veränderung zu der Epoche, aus der wir kommen. Der Generation unserer Eltern und noch mehr unserer Großeltern war es nicht möglich, sich völlig zu lösen von den Vorgaben, die in der eigenen Familie gelebt wurden; es war nicht möglich in dem Maße, wie es heute geht zu sagen: Ich mache mein eigenes Ding. Heute wird diese Freiheit genutzt und gelebt. Dies ist nichts, was zu beklagen wäre, sondern wir wollen es bejahen.
Sie sprechen davon, dass Freiheit zwei Dimensionen hat. Was meinen Sie damit?
Wenn wir sagen: Freiheit hat immer zwei Dimensionen, dann ist dies zunächst einmal die Freiheit „von“ – wovon Menschen frei sein müssen. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Zwangsmechanismen, Diskriminierung und Ausgrenzung. Wir treten immer ein für diese Vorstellung, dass Menschen von Ausgrenzung und Diskriminierung befreit werden müssen. Auf diese Weise haben wir eine emanzipatorische Dynamik in der Verkündigung des Evangeliums, die wir auch weiterhin beherzt leben werden. Freiheit „von“ ist dann aber auch unmittelbar verbunden mit der Frage „Wofür denn jetzt?“. Wenn ich frei bin, was tue ich dann damit? Was ist mein Ding? Gerade in einer solchen Atmosphäre kommt es darauf an, dass es uns als Kirche gelingen wird, die Idee Jesu – wie Menschsein geht und wie miteinander leben geht – in die Begegnung mit den Menschen zu bringen und Gott wirken zu lassen; und zugleich, durch die Begegnung mit diesem Gott begünstigt, in eine innere Annahme meiner selbst und der Nächsten um mich herum zu kommen.
Wie sieht die Figur einer zukunftsgewinnenden Pastoral aus?
Wir setzen darauf, dass die Pastoral, die in eine andere Form des gelebten Christentums führen wird, eine andere Figur aufweisen muss. Nicht mehr so sehr, wie es noch zu Zeiten der Volkskirche war mit katholischen und protestantischen Milieus und in der vorgegeben war, wie man es macht, Christ zu sein. Wir setzen heute nicht mehr auf Zugehörigkeit und Bindung als erste Form, sondern auf Begegnung. Auf eine personale Begegnung mit dem real gelebten Leben der Menschen, in deren menschliche Existenz hinein. Eine Begegnung, die in keiner Weise als übergriffig erlebt werden darf. Eine Kirche, die schon immer weiß, was ich will oder was ich zu wollen hätte; eine solche Kirche kann nicht mehr ins 21. Jahrhundert aufbrechen. Und überall, wo die Menschen heute unter der Erfahrung der Freiheitlichkeit so einen Geruch in die Nase kriegen, lehnen sie uns radikal ab. Viel von der Kritik an diesen Krisenphänomen in unserer Kirche stammen aus diesem miesen Geruch, aus diesem Gefühl: Die wollen immer noch bestimmen, was gespielt wird. Die wollen immer noch sagen, was das Gute ist. Sie meinen es immer noch besser zu wissen. Begegnung heißt: Augenhöhe. Dieses Stichwort ist ganz oft in den Roadmaps zu lesen. Augenhöhe heißt: Du und Ich – wir sind gleich wert. Du und Ich – wir sind nicht vorgeprägt von irgendwelchen Bedingungen, die uns schon in unterschiedliche Startvoraussetzungen versetzen würden, sondern wir sind in der Begegnung frei. Ich darf mich zeigen – du darfst dich zeigen. Ich erzähle von meinem Leben – du von deinem. Wir bejahen die menschliche Existenz in allen Phasen von der Zeugung bis zu ihrem natürlichen Tod. Wir wollen, dass ein Ja-Wort über die menschliche Existenz immer möglich bleibt; in allen Phasen des Menschseins und in allen Situationen. Begegnung heißt dann aber auch: wenn Jesus in meinem Leben eine reale Beziehung für mich ist, dann wird er auch in der Begegnung mit einem anderen Menschen irgendwann interessant. Begegnung in diesem Sinne ist dann auch etwas Sakramentales – etwas von Gottes Geist Aufgeladenes – etwas, das etwas möglich machen kann. Die Ermöglichung ist der größte Paradigmenwechsel.
Die Pastoral der Zukunft ist eine Pastoral der Ermöglichung. Wie stellen Sie sich diese Pastoral der Ermöglichung vor?
Die Pastoral der Zukunft ist eine Pastoral der Ermöglichung und der Schritte. Wir setzen darauf - die kirchliche Zukunft wird nicht mehr von uns gemacht, sondern von den Menschen, die Gott begegnet sind; wenn sie sich das frei gewählt haben. Wir können die Menschen in die Begegnung mit Jesus Christus führen. Der Einzelne entscheidet selbstbestimmt und frei, ob und wann er eine Antwort auf die Begegnung gibt und schrittweise hineingezogen wird in diese „Jesus-Bewegung“. Ob und wann das geschieht, wissen wir nicht. Das bewirkt Gott. Die Pastoral der Zukunft werden wir nicht mehr planen, überstülpen können. Es wird keinen festen Pastoralplan der Zukunft geben, die Pastoral wird gradueller werden. Als Hauptamtliche ermöglichen wir das, was die Menschen möglich machen. Wir können die Vielfalt nicht mehr garantieren. Wir können die Grundvollzüge sicher stellen, dass es die Katechese, Sakramente mit Qualität gibt. Es wird eine Verlagerung vom Hauptamt zum Dienst der Charismen geben: Charismen wecken, begleiten, inspirieren, ermutigen, befähigen ... Wenn du eine Idee hast – mach` es; ich unterstütze dich. Es wird weiße Flecken geben, aber viele Orte von Kirche, die vernetzt sind.